Therapieabbruch

Moin aus Flensburg,

das letzte Mal habe ich von den Emails berichtet und von der lebenslangen Therapie, die ich begonnen habe. Und heute handelt es davon wie sie geendet hat. Manchmal ist ein Leben lang halt doch kein lebenslang.

Alles was ich schreibe, soll kein Aufruf zum Nachahmen sein, denn bei allem möglicherweise Nonsens, der jetzt gleich folgt, liegt dem Ganzen doch eine Ernsthaftigkeit zu Grunde. Der Schritt war lange in mir gereift und hin und her überlegt.

Doch von vorn.

Vor fast 14 Jahren begann ich meine Avonex Therapie. Avonex ist ein Medikament zur Behandlung der multiplen Sklerose, welches man sich einmal pro Woche selbst in den Muskel injiziert oder injizieren lässt. Abgesehen von der Überwindung, sich eine Nadel in den Körper zu stechen oder stechen zu lassen 😉 gibt es bei diesem Medikament natürlich Nebenwirkungen, die auftreten können, aber nicht müssen.

Einige treten recht unmittelbar auf, wie die klassischen Grippe-Symptome und heftige Abgeschlagenheit am Folgetag. Andere lassen sich einige Tage Zeit - z.B. Muskelschmerzen. Andere begleiten einen irgendwann dauerhaft, so dass man es manchmal sogar nur noch unterbewusst wahrnimmt.

Von Anfang an habe ich mit der Therapie gefremdelt, aber ich wollte ja auch nicht nichts tun. Der Teufelskreis in dem sich viele Betroffene sicherlich wiederfinden werden. Deswegen hat es bei mir vermutlich auch mehr als 700 Injektionen gedauert bis ich mein Deja vu hatte und eine Entscheidung getroffen habe.

Ich war im Kino. Das ist bei mir eigentlich gar nichts besonderes, denn ich liebe Filme und Kino und bin fast jede Woche dort. Diesmal war etwas anders, ich bin alleine gegangen und das war vielleicht auch gut so, denn so wurde ich nicht abgelenkt und konnte mich ganz alleine damit auseinandersetzen, was vorne auf der großen Leinwand zu sehen war. Nein, es war nicht mein Leben, was dort gezeigt wurde, und dennoch gab es Gemeinsamkeiten. Es lief ein Horrorfilm.

Night Swim

Grob zusammengefasst geht es um einen ehemaligen Baseballspieler, der mit seiner Familie in ein neues Haus zieht. Er leidet - oh Wunder - an MS. Ich hatte ja die ganze Zeit eher daran gedacht, dass er eventuell wegen einer Sportverletzung am Stock geht. Aber dann waren MRT Bilder zu sehen und es gab ein Gespräch mit einer Ärztin, die der Ansicht war, dass sich sein schubförmiger Verlauf in eine sekundär progrediente Form verändert hat. In dem Moment fing mein Hirn an zu denken, was wenn sich bei mir auch etwas verändert hat, in mir wuchs Gesprächsbedarf mit meinem Neurologen, noch ohne konkreten Inhalt. Erst einmal reden.

Zurück zum Baseballspieler. Ihm wird natürlich Physiotherapie und Bewegung nahe gelegt, wer kennt es nicht? Zum Glück hat das neue Haus einen Pool im Garten und das Schwimmen hilft ihm sehr und er macht ungewöhnlich starke Fortschritte. Doch der Pool hat ein dunkles Geheimnis und entfesselt seine böswillige Macht. Denn dafür, dass er hilft, verlangt er Opfer.

Meine Gedanken waren ebenfalls entfesselt. Was wenn das Avonex mein Pool ist, aber die Nebenwirkungen, die ich erbringe mein Opfer ist? Was wenn ich allmählich mehr Opfer bringe, als dass der Pool mir hilft? Bis der, definitiv nicht gute, Film zu Ende war, reifte in mir der Entschluss, ich mache Schluss mit meinem Medikament, Schluss mit meiner Opfergabe. Das anfangs noch als ergebnisoffen geplante Neurologengespräch, folgte jetzt einem, konkreten Plan.

Und ich brachte den Mut auf, und setzte meinen Arzt darüber in Kenntnis, dass ich nicht mehr bereit bin, meinen Körper jede Woche zu verletzen und setzte die Therapie ab. Vom verfluchten Pool habe ich ihm besser nichts erzählt…

Wie es weiter geht?

Das weiß ich nicht.

Aber das wusste ich vorher auch nicht...

... aber vielleicht verändert ein schlechter Film mein Leben zu etwas Gutem.

-- amor fati --

Björn

(Foto: privat)